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Klein, aber fein

Zwischen Kunst, Handwerk und Wissenschaft bewegen sich Restauratorinnen und Restauratoren. Das 50-jährige Bestehen des Studiengangs Restaurierung an der Hochschule für Bildende Künste Dresden ist Anlass, einen Blick auf das Nischenfach, seine Entwicklung und aktuelle Herausforderungen zu werfen.

Titelthema erschienen im DUZ – Magazin für Wissenschaft und Gesellschaft 09/2024 

„75 Jahre nach der Verkündung des Grundgesetzes ist es höchste Zeit, Kultur als Staatsziel in unserer Verfassung zu verankern.“ Das teilte Kulturstaatsministerin Claudia Roth Ende Mai dieses Jahres anlässlich des 75-jährigen Bestehens des Grundgesetzes in einer Pressemitteilung mit. Warum, sei klar: „Ein solches Staatsziel würde betonen, wie zentral Kultur für die Demokratie ist.“ Und weiter: „Es würde die Verantwortung des Staates mit Blick auf das kulturelle Erbe unterstreichen und auch die Kommunen und Länder und ihre Selbstverwaltung stärken. Die Aufnahme der Kultur als Staatsziel in das Grundgesetz wäre eine wegweisende Verantwortungsbekundung.“

Dieses Bekenntnis würden sicherlich zahlreiche Restauratorinnen und Restauratoren unterschreiben. „Es ist wichtig, sowohl das Materielle – also den Erhalt von Kulturgut – als auch das Immaterielle an unserem Beruf und unserer Arbeit zu sehen“, sagt Roland Lenz, Professor für Konservierung und Restaurierung von Wandmalerei, Architekturoberfläche und Steinpolychromie an der Akademie der Bildenden Künste (ABK) Stuttgart. „Der immaterielle Anteil, also wie wir mit dem zu restaurierenden Objekt umgehen, wie wir es besser erlebbar machen und in die Öffentlichkeit tragen, nimmt zu“, stellt er fest. „Im Moment ist das Bewusstsein dafür da. Wir habe eine gute Balance zwischen dem materiellen und immateriellen Wert unserer Arbeit.“ Auch das Interesse der Bevölkerung an der restauratorischen Arbeit sei groß – das sei an den hohen Besucherzahlen an Tagen der offenen Tür in Museen oder am Tag des offenen Denkmals sichtbar.

GEHALT DER AUSBILDUNG ANPASSEN

Ein guter Zeitpunkt also, um einerseits den Erhalt des Kulturguts als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern. Andererseits auch Anlass, um nach einer jahrzehntelangen Entwicklung zwischen Kunst, Handwerk und Wissenschaft die Wissenschaftlichkeit des Faches anzuerkennen – und daraus zum Beispiel angemessene Bezahlung und Fördergelder zu erhalten. „Restauratoren werden häufig als Zuarbeiter, als Hilfswissenschaftler gesehen, als Dienstleister für Kunsthistoriker – und in Museen oft entsprechend niedrig bezahlt“, sagt Dr. Andrea Funck, Professorin für Konservierung und Restaurierung von archäologischen, ethnologischen und kunsthandwerklichen Objekten an der ABK Stuttgart. Dies widerspreche dem Können und der Verantwortung von Restauratoren. Doch der derzeitige Fachkräftemangel bringe Bewegung in das Gefüge: „Wir bewegen uns langsam, aber immer mehr auf Augenhöhe“, stellt Funck fest. Der Verband der Restauratoren unterstützt die Forderungen nach der Wissenschaftlichkeit ihres Faches 

Ein Blick zurück macht deutlich, mit welchem Erbe die heutigen Restauratorinnen und Restauratoren zu kämpfen haben. „Über Jahrhunderte war klar, dass nur Künstler Gemälde restaurieren können und dürfen, da nur sie ein Kunstwerk verstehen können“, erläutert Dr. Christop Herm, Professor für Archäometrie und naturwissenschaftliche Forschung in der Konservierung/Restaurierung an der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) Dresden. „Dies ist heute zweifelhaft“, sagt Herm, „denn da sie selbst Künstler waren, haben sie zu viel in und auf den Gemälden gemalt.“ Der Studiengang Restaurierung an der HfBK feiert in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen. Ein guter Anlass, um auf die Geschichte und Entwicklung des Faches – nicht nur in Dresden, sondern in Deutschland und Europa – zu blicken.

FRÜHERE FEHLER RÜCKGÄNGIG MACHEN

Im Laufe der Jahrzehnte haben sich Blick und Haltung verändert, wie Gemälde, Objekte oder Gebäude, sprich Kulturgüter, zu restaurieren und zu konservieren sind. Und so sei leider auch eine heutige Aufgabe von Restauratoren, früher gemachte Fehler beziehungsweise falsch angewandte Methoden der restaurierenden Künstler wieder rückgängig zu machen, erklärt Herm, „wir sprechen von Re-Restaurierung“. Zu einer zeitgemäßen Restaurierung gehöre demnach nicht nur das handwerkliche Können, sondern auch „vorbereitende und begleitende archäologische, kunst- und geschichtswissenschaftliche Untersuchungen“, so Herm. Dieses Ziel wurde bereits 1964 in der Charta von Venedig formuliert: „Konservierung und Restaurierung der Denkmäler bilden eine Disziplin, welche sich aller Wissenschaften und Techniken bedient, die zur Erforschung und Erhaltung des kulturellen Erbes beitragen können.“ „Damals war dies eine sehr moderne Haltung“, sagt Christoph Herm, „man war sich einig, dass die Ausbildung der Restauratorinnen und Restauratoren an Kunsthochschulen gehört.“ Die Charta markierte also eine Zeitenwende in der Ausbildung von Restauratorinnen und Restauratoren – insbesondere für die Hochschulen. Zwar war bereits vorher – auch vor der fundamentalen Zerstörung von Kulturgütern während des Zweiten Weltkrieges – die Denkmalpflege in Deutschland und Europa diskutiert worden. Doch in der Charta von Venedig wurde in wenigen Grundgedanken und 16 Artikeln ein moderner, bis heute geltender Denkmalbegriff formuliert.

Das wirkte sich auch auf die Ausbildung der Restauratorinnen und Restauratoren aus. Der Studiengang Kunsttechnologie, Konservierung- und Restaurierung von Kunst- und Kulturgut an der HfBK Dresden gehört zu den ersten universitären Ausbildungsstätten in Deutschland, gegründet 1974. War die Jahre zuvor die restauratorische Ausbildung vor allem künstlerisch geprägt, mit Kursen in Anatomie und Freilichtmalerei, um künstlerische Fähigkeiten zu entwickeln, wurde ab Mitte der 1970er-Jahre zudem verstärkt Wert auf naturwissenschaftliche Aspekte gelegt. Zwar sei das Fach Kunst nach wie vor wichtig und ein Wesensmerkmal der Ausbildung an der HfBK. „Allerdings nicht mehr die kreativ-künstlerische Tätigkeit, sondern die künstlerische Sensibilität“, sagt Herm. Zudem wurden an den Hochschulen naturwissenschaftliche Labore eingerichtet, die etwa von Chemieprofessoren geleitet wurden. Bevor beispielsweise Skulpturen, Papierarbeiten oder Wandmalereien restauriert werden, werden sie wissenschaftlich untersucht und dokumentiert. „Das unterscheidet uns vom Handwerk“, betont Christoph Herm die Unterschiede von hochschulischer und rein handwerklicher Restauratorenausbildung. An Hochschulen liegt der Fokus mittlerweile auf der praktischen Ausbildung: Die projektbasierte Lehre in hochschuleigenen Ateliers, Werkstätten und Laboren sowie die Kooperationen mit Museen machen heute die Hälfte der Inhalte der Studiengänge in Deutschland aus. Um den wissenschaftlichen Anspruch studierter Restauratoren hervorzuheben und von der handwerklichen Restaurierung zu unterscheiden, ziehen die Restauratorinnen und Restauratoren im Gespräch gerne den Vergleich zum Arztberuf. „Medizin und Restaurierung haben vieles gemeinsam. Beim wissenschaftlichen Herangehen weiß man, was man tut“, sagt Herm. Andrea Funck beschreibt es so: „Wenn ich ein Problem mit den Augen habe, gehe ich ja nicht zum Urologen, sondern zum Augenfacharzt.“ So spezialisieren sich auch Restauratorinnen und Restauratoren, um beispielsweise Papier, Stein, Glas oder Textilien zu konservieren und zu restaurieren. „Genau wie Mediziner verbinden wir dabei Wissenschaft, Praxis und Ethik – und dafür braucht es einen langen Ausbildungsweg“, sagt Funck. Restauratorinnen und Restauratoren sind nicht nur in der Lage, Objekte handwerklich korrekt zu bearbeiten. Sie müssen selbstständig und selbstverantwortlich abwägen und entscheiden können – beispielsweise in der Wahl der Methode oder auch im Umfang, was konserviert und in welchem Maße restauriert wird, ob lieber originale Farben verwendet werden oder doch besser moderne Materialen, die den Verfall stärker aufhalten. Restaurieren heißt nicht: wieder neu machen. „Restaurator und Restauratorinnen tragen eine große Verantwortung gegenüber unserem kulturellen Erbe. In ihren Händen liegen unwiederbringliche Originale“, heißt es auf der Seite des Verbands der Restauratoren zum Berufsbild. „Restauratorinnen und Restauratoren haben nicht nur ein geschultes künstlerisches Einfühlungsvermögen und einen guten kunsthistorischen Überblick, sie verfügen auch über detaillierte Kenntnisse von historischen Erscheinungsformen verschiedener Objektgattungen und deren Materialien sowie über ein fundiertes chemisches und physikalisches Wissen. Zudem arbeiten sie interdisziplinär.“

SECHS STUDIENORTE IN DEUTSCHLAND

Derzeit kann an sechs Hochschulen das Fach Restaurierung und Konservierung als Bachelor und Master mit verschiedenen Schwerpunkten studiert werden – von der Restaurierung von Gemälden, Objekten und Gebäuden über Medien und Wandmalerei bis zu Grabungstechnik und Feldarchäologie: an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin, der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) Dresden, der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) Hildesheim, der Technischen Hochschule (TH) Köln, der Fachhochschule Potsdam und der Akademie der Bildende Künste (ABK) Stuttgart. Neben der Ausbildung an Kunsthochschulen in Dresden, seit 1977 in Stuttgart und im deutschsprachigen Raum auch in Wien eröffnen seit den 1980er-Jahren auch Fachhochschulen entsprechende Studiengänge: 1986 entstand das Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft oder Cologne Institute of Conservation Sciences (CICS) an der TH Köln. Seit 1994 kann an der HTW Berlin studiert werden. 1995 kamen Studiengänge an der Fachhochschule Potsdam und der HAWK Hildesheim hinzu.

Von der HfBK Dresden ausgehend, wurden einheitliche Standards für die wissenschaftliche Restauratorenausbildung nicht nur in Deutschland, sondern innerhalb Europas entwickelt. „Ein wichtiger Meilenstein war das auf Initiative von Ulrich Schießl von der HfBK Dresden initiierte Europäische Netzwerk der Restaurierungs-Studiengänge ENCoRE, das 1998 in Kopenhagen offiziell gegründet wurde“, schreiben Professorin Dr. Ursula Haller und Professor Ivo Mohrmann von der HfBK in einem gemeinsamen Vortrag. Schießl hatte ab 1993 eine Professur an der HfBK Dresden und war von 1996 bis 2005 deren Rektor. Ziel des europäischen Netzwerks war und ist, „Forschung und Ausbildung im Bereich des kulturellen Erbes zu fördern“, heißt es auf der ENCoRE-Internetseite.

KULTURGUTERHALT GESETZLICH VERANKERN

Eine wissenschaftlich fundierte Restauratorenausbildung hat sich etabliert und Forschung und Lehre auf diesem Gebiet sind international vernetzt. „Diese Errungenschaften gilt es angesichts wieder aufflammender nationalistischer Tendenzen und zunehmender Wissenschaftsfeindlichkeit zu verteidigen und weiterzuentwickeln“, plädieren Ursula Haller und Ivo Mohrmann in ihrem Vortrag. Dabei helfen könnte, wenn der Erhalt von Kulturgut auf gesetzlich abgesichertem Boden stehen würde. So unterliegt die Aufmerksamkeit und Werkschätzung restauratorischer Arbeit großen Schwankungen. Roland Lenz von der ABK Stuttgart verdeutlicht: „In Krisenzeiten – beispielsweise zur Zeit des sauren Regens in den 1980er-Jahren – war die Restaurierung in aller Munde, um vor allem den Steinzerfall durch den sauren Regen zu stoppen und gefährdete Bausubstanz zu erhalten.“ Doch verschwindet das Thema aus dem Fokus und der öffentlichen Wahrnehmung, schwindet auch das Geld und Fördertöpfe schrumpfen. Deshalb plädiert seine Kollegin Andrea Funck: „Der Kulturgutschutz muss nicht nur auf Ein- und Ausfuhr geregelt sein, sondern auch auf den Erhalt.“ //

Titelstrecke im Layout als PDF:

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