Laxness, Hallgrímur Helgasson und Steinunn Sigurðardóttir – diese isländischen Schriftsteller kennt spätestens nach der Buchmesse jeder Island-Fan. Doch ohne die Arbeit der Übersetzer könnten die Wenigstens die Geschichten und Gedichte von der Nordmeerinsel lesen. In den Kritikern wird ihr Können nur am Rande erwähnt, wenn überhaupt. Ein Grund, die Arbeit der Isländisch-Übersetzer zu würdigen. Im Interview erzählt Übersetzerin Betty Wahl von ihrer Liebe zur isländischen Sprache sowie der Herausforderung, den richtigen Ton des Autors ins Deutsche zu bringen.

Wie bist du auf Island und die isländische Sprache gekommen?
Das war alles nur ein glückliches Versehen, dass ich in der Uni Frankfurt innerhalb meines Studiums der Skandinavistik ein drittes Fach brauchte und dann aus Neugier und Unvorsicht eine Einführung ins Neue Isländisch belegte. Doch nun saß ich da und wusste nach einer Woche: Diese Sprache will ich sprechen.

Und du hast dich nicht von der schwierigen Sprache abschrecken lassen?
Es geht nicht um den Schwierigkeitsgrad. Es war eher eine Art Liebesbeziehung. Ich wusste einfach, dass ich diese Sprache sprechen möchte. Und dann eine Woche später kam im deutschen Fernsehen nachts um zwei ein isländischer Spielfilm, „Ingalo im grünen Meer“, im Original mit Untertitel. Ich hatte mir extra einen kleinen Fernseher ausgeliehen. Der Fernseher war aber so klein, dass er die Untertitel abgeschnitten hat. Und ich hab gedacht: Jetzt erstrecht – und beim nächsten Mal verstehe ich alles! Ich habe in diesem Semester alle anderen Kurse geschmissen und bin mit dem Isländisch-Lehrbuch ins Bett gegangen und habe überall, wo es sich ergab, die Deklinationen gelernt.

Wann warst du das erste Mal in Island?
Nach einem halben Jahr. Dort habe ich dann einen Sommer-Sprachkurs gemacht. Und ich hatte das Glück, dass sich zu den Leuten – den Schauspielern Brynja und Erlingur –, bei denen ich in dieser Zeit gewohnt hatte, eine enge Freundschaft entwickelt hat, sie quasi zu meinen isländischen Adoptiv-Eltern geworden sind. Und sie haben mich ins isländische Leben und Denken eingeführt.

Und wie kamst du letztlich zum Übersetzen?
Das Übersetzen hatte ich schon vorher im Auge. Ich hatte Anglistik studiert, während des Studiums James Joyce und Virginia Woolf für eine zweisprachige Reihe übersetzt – was mir gewisse Türen geöffnet hat. Dann kam das Isländisch dazu und ich habe schnell gemerkt, dass Isländisch zu übersetzen ein viel interessanterer Markt sein könnte, um das wirklich beruflich zu machen. Englisch-Übersetzergibt sehr viele, sehr gute.

Bisher war die isländische Literatur nicht so bekannt und so viel ins Deutsche übersetzt worden, dass du hättest davon leben können. Oder hattest du immer gedacht, gewusst, gehofft, das Island irgendwann Gastland auf der Frankfurter Buchmesse werden und dir so viele Aufträge einbringen würde?
Ehrlich: An Island als Gastland habe ich nie gedacht! Ich wagte es nie zu denken. Gewünscht habe ich es mir natürlich sehr.

Aber dann hat Island den Zuschlag erhalten!
Ja, einfach genial! Wobei der isländische Buchmarkt klein und überschaubar ist, auch der Kreis der Übersetzer. So ist die Konkurrenz groß! Das heißt: Man muss besonders gut sein und sich innerhalb dieser kleinen Community einen Platz erobern, um von den Kollegen und Verlagen ernst genommen zu werden.

Was du geschafft hast. Doch das war sicherlich ein langer Weg?
Ja, die deutschen Verlage haben natürlich nur eine Hand voll Namen, unter denen sie aussuchen. Bei meiner ersten großen Übersetzung eines Romans hatte mich der Verlag, ein sehr kleiner Verlag, in einem Übersetzer-Verzeichnis gefunden. Ich war mächtig stolz und sofort mit Feuereifer dabei. Doch noch während ich übersetzte, ging der Verlag pleite. Kein guter Einstand – aber ich habe viel gelernt.

Und wie ging es weiter: Kennst du isländische Autoren, die dich als ihre Übersetzer empfehlen oder stellst du dich direkt bei den deutschen Verlagen vor?
Das greift ineinander. Es ist natürlich ein großer Glücksfall, wenn der Autor einen kennt, die Arbeit schätzt und empfiehlt. Dann ist man schon nicht mehr ganz am Anfang. Das sind dann die Früchte der langen Zeit, die ich schon im Geschäft bin. Man ist ja kein Naturtalent, sondern Übersetzen ist ein Handwerk, das man erst erlernen muss, und nach und nach besser wird. Und im Fall Gyrðir Elíasson hatte ich das Glück, dass der Autor selbst mich als seine Übersetzerin wollte.

Elíasson hat nun prompt Anfang dieses Jahres den Literaturpreis des Nordischen Rates gewonnen. Auch ein Glücksfall für dich?
Das war natürlich eine weitere glückliche Fügung!

Inzwischen arbeitest mit renommierten Verlagen wie S. Fischer und Suhrkamp/Insel zusammen, aber auch mit kleinen Verlagen wie Transit oder ganz frisch mit Walde und Graf. Wie ist das zustande gekommen?
Die Mischung ist mir sehr wichtig, weil die Arbeit teilweise eine andere ist. Mit S. Fischer arbeite ich schon sehr lange zusammen – der Beginn war wieder ein glücklicher Zufall. Ich übersetzte damals Gedichte einer jungen norwegischen Lyrikerin. Dann wurde ich vom Verlag um eine Probeübersetzung für „Schattenfuchs“ von Sjón gebeten – der gerade dafür den Literaturpreis des Nordischen Rates erhalten hatte. Meine Probeübersetzung gefiel und ich bekam den Auftrag und wurde gefragt, ob ich die deutsche Stimme von Sjón werden wolle. Das bin ich nun – für die Prosa. Die Lyrik von Sjón übersetzt die Kollegin Tina Flecken.

Und wie läuft die konkrete Zusammenarbeit: Bist du zu Sjón gegangen und hast dich bei ihm als seine deutsche Stimme vorgestellt?
Nein, nicht ganz. Wir haben irgendwann einfach angefangen, uns zu treffen. Die Zusammenarbeit mit Sjón ist angenehm, schön und ideal. Sjón ist ein sympathischer, zugänglicher Mensch und immer aufgeschlossen und bereit mir meine Fragen zu beantworten.

Was ja auch sein eigenes Anliegen sein sollte!
Ja, natürlich. Das sollte man meinen, dass der Autor glücklich sein müsste, wenn die Übersetzerin nachfragt, um die bestmögliche Übersetzung zu liefern. Aber es soll auch andere geben. Außerdem war ich anfangs selbst zurückhaltend, hatte Angst, dass mich ein Autor für dumm halten könnte, wenn ich das und das frage, womöglich denkt, ich kann kein Isländisch.

Nun bist du des Isländischen mächtig. Was für Fragen hast du dennoch an einen Autor?
Einerseits können es sprachliche Fragen sein: Wie hast du dieses Wort gemeint? Das kann auf einer ganz einfachen Ebene sein, wo mir aber das Wörterbuch oder das Internet nicht weiterhilft. Aktuell bei Gyrðir Elíasson war es beispielsweise das Wort ævintýri, was einerseits Märchen, andererseits Abenteuer heißt. Doch welches Phänomen hatte er beim Schreiben im Hinterkopf? Das kann ich dem Text nicht ansehen, das kann mir auch kein Wörterbuch sagen, sondern nur der Autor.

Zu den Sagas: Es sind schriftlich festgehaltene, mündlich erzählte Geschichten aus dem Mittelalter – olle Kamellen könnte man meinen. Doch in der europäischen Literatur sind die Sagas einzig: Nirgendwo anders als in Island entstand eine solche spannende, in der Volkssprache abgefasste Prosaliteratur. Wieso sind sie jetzt neu übersetzt worden?
Weil die bisher existierenden Übersetzungen mittlerweile veraltet sind. Problem ist, dass die Übersetzung immer auch den sprachlichen Stempel ihrer eigenen Zeit trägt, während ein Original immer zeitlos wirkt. So klingen die Isländersagas auf Alt-Isländisch nicht altbacken – aber die Lebenswelt, die sie abbilden, ist natürlich aus dem 10. Jahrhundert.

Und was war die Herausforderung für euch insgesamt 14 Übersetzer?
Es ist faszinierend, dass sich die isländische Sprache kaum verändert hat und sich die Original-Sagas keineswegs veraltet klingen. Aber das ist auch trügerisch beim Übersetzen. Denn wenn ein Übersetzer isländischer Gegenwartsliteratur erstmals Sagas übersetzt, ist er geneigt, sie entweder als etwas ganz Neues zu betrachten und schreibt ganz ehrfürchtig, hölzern und ganz eng angelehnt am alt-isländischen Original. Oder aber du denkst: Ach, das liest sich ja runter wie ein moderner Text – und übersetzt ihn dann auch so. Doch irgendwo dazwischen liegt wohl die Lösung.

Die Buchmesse mit Island als Gastland ist nun vorbei. Doch was hat dir dieses Großereignis bedeutet?
Erstmal: viel Arbeit. Ich habe im vergangenen Dreivierteljahr fünf Romane und vier Sagas übersetzt, daneben Kurzgeschichten und Gedichte, außerdem habe ich an der Uni Frankfurt unterrichtet. Gleichzeitig dachte ich natürlich: Das kommt nie mehr wieder! Jetzt habe ich einmal die Chance, dass mein Land Gastland der Buchmesse ist. Und es waren ja auch tolle Aufträge!

Jetzt wirkt die Buchmesse noch nach, – doch was ist in wenigen Wochen und Monaten: Fürchtest du das berühmte schwarze Loch?
Nein, nicht wirklich. Ich übersetze Autoren wie Sjón, die für ihre Produktivität bekannt sind. Oder im Fall Gyrðir Elíasson, der jüngst ausgezeichnet wurde, da habe ich den Verlag Walde und Graf ermuntert für nächstes Jahr zwei weitere Übersetzungen einzukaufen – denn als Preisträger ist die Chance größer, dass er auch nach der Buchmesse weiter interessant sein, gelesen und verkauft wird.

Die Bücher, u.a. übersetzt von Betty Wahl
– Isländersagas in 4 Bänden mit Begleitband. S. Fischer Verlag
– Gyrðir Elíasson: Am Sandfluss. Walde+Graf
– Sjón: Schattenfuchs. S. Fischer Verlag; NEU im TB 2011
– Sjón: Das Gleißen der Nacht. S. Fischer
– Indriði G. Thorsteinsson: Taxi 79 ab Station. Transit Verlag
– Óskar Árni Óskarsson: Das Glitzern der Heringsschuppe in der Stirnlocke. Transit Verlag
– Pétur Gunnarsson: Reykjavík. Suhrkamp Insel
– Þórdís Björnsdóttir: Schlafsonate. Allinti