Sonic Iceland ist ein außergewöhnliches Projekt, das zwei Musik-Fans, die kleine Insel im Nordatlantik und eine fantastische Musikszene verbindet. Derzeit gibt es einen Internet-Blog. Im August soll eine überarbeitete Webseite mit ausführlichen Interviews und Fotoserien folgen. Ein Buch ist in Planung. Marcel Krüger und Kai Müller erzählen von ihren Erfahrungen bei den Vorbereitungen und bei der Recherche in Island. English version of this interview
Plaudert doch mal aus dem Nähkästchen: Was war bisher eure schrillste, lustigste, aufregendste Begegnung in Island?
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Marcel: Auf Anhieb kann ich nicht die eine herausragende Begegnung nennen. Island ist ein wirklich komisches Land – im positiven Sinne. Einerseits gibt es Reykjavík als einzige Metropole mit allen Vorzügen der Großstadt, einem unglaublichen Nachtleben und fast zu viel kultureller Aktivität. Andererseits ist man nur rund 100 Kilometer entfernt im absoluten Nirgendwo zwischen Steinen und Schafen und sieht stundenlang keinen Menschen. Dazu kommen im Sommer 24 Stunden Sonnenschein und die für Deutsche seltsam vertraut klingende Sprache der Isländer, die man aber trotzdem nie versteht, geschweige denn sprechen kann.
Mein skurrilstes Erlebnis in Island war ein Konzert im Hotel Djúpavík in einem Fjord am Ende der Welt, direkt neben einer stillgelegten Fischfabrik – zusammen mit einem Haufen deutscher Touristen und einer Handvoll Einheimischer lauschten wir einer Abba-Cover-Darbietung inklusive Ukulele.
Wieso braucht es euer Projekt? Was ist euer Ansinnen?
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Marcel: Ich weiß nicht, ob es unser Projekt braucht. Es gibt bessere, weitgehendere Dokumentationen über die isländische Musikszene. Wir haben keinen Anspruch als Fachleute für die isländische Szene zu gelten. Und wir sind auch keine ausgebildeten Journalisten. Es geht uns um das Machen an sich. Da es unser eigenes Projekt ist, können wir machen und schreiben was und wie wir wollen. Wenn das unseren Lesern gefällt – prima. Wenn nicht – auch egal. Gerade aus Deutschland kamen Fragen nach dem Mehrwert unserer Aktion – ein typisch deutsches Denken. Wir fahren einfach nach Island, weil wir es können, und wir lassen alle, die es interessiert via Internet daran teilhaben. Ich finde das besser als zuhause zu hocken und mir nur die Filmchen aus Island anzugucken. Das Netz ist dabei unser bestmögliches Werkzeug – wir können recherchieren, Künstler kontaktieren, online Datenbanken anlegen und unser Vorbereitungen und den Aufenthalt in Island per Blog dokumentieren und die Fotos sofort online stellen. Ohne Redaktion und Fremdeinflüsse.
Wann und wie ist die Idee zu dem Projekt entstanden?
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Marcel: Die Idee hatten wir schon lange. Wir sind fasziniert von isländischen Bands und immer überrascht, wie viele unterschiedliche Sounds so ein kleines Land hervorbringt, verglichen mit Deutschland zum Beispiel. Hinzu kommt die Landschaft, die auf Fotos (und im „Heima“-Film von Sigur Rós) perfekt zu den Sounds passt. Irgendwann fragten wir uns, ob die isländischen Musiker wirklich zum Songschreiben auf den Gletscher klettern – also sind wir nach Island gefahren, um nachzuschauen. Und wir haben alle, die es interessiert, an unserem Trip teilhaben lassen.
Kais Fotos zu entnehmen, fasziniert euch vor allem die alternative Musikszene in Island. Was ist für euch das Besondere der isländischen Musik/Musikszene?
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Marcel: Vielleicht die Tatsache das es nicht den einen isländischen Sound gibt. Viele bringen mit Island zuallererst Björk und Sigur Rós in Verbindung. Aber die Anzahl von großartigen Heavy Metal-, Elektro-, Post Rock- und Folk-Bands ist im Vergleich zur Einwohnerzahl (rund 300.000) einfach unglaublich.
Habt ihr einen Lieblingsmusiker oder eine Lieblingsband in Island? Was gibt euch selbst diese isländische Musik?
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Marcel: Schwierig. Ich nenne jetzt einfach mal die Metal-Band Solstafir und Islands besten Singer/Songwriter (und nettesten Ukulele-Spieler der Welt) Svavar Knútur. Was mich als Musiker besonders fasziniert, wie offen die Musiker untereinander sind. Metal-Bands und DJ-Sets auf demselben Konzert, Singer/Songwriter spielen zusammen mit ganzen Orchestern. Es gibt keine richtige Szene vor Ort wie in Deutschland und Irland, wo die Heavy Metal-Fans bei den DJ’s aus der Halle gehen würden. In Island ist jeder von jedem beeinflusst und hat keine Scheuklappen.
Kais Fotos sind sehr authentisch und lebendig – so erlebe ich selbst hier in Island die Menschen, die Musikszene. Wie fotografierst du? Denn ihr wollt ja, wenn ich es richtig verstanden habe, nicht nur Auftritt-Fotos zeigen, sondern hinter die Kulissen in Aufnahmestudios, Wohnungen etc. blicken.
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Marcel: Herr Müller, übernehmen sie!
Kai: Ich fotografiere sehr spontan. Gestellte Szenen mag ich nicht, weil die Authentizität dann zu schnell auf der Strecke bleibt. Durch das sehr schnelle Arbeiten enthalten beinahe alle Fotos kleine Fehler: Irgendwas ist abgeschnitten oder ragt ins Bild. Mich stört das aber selten, weil es eben in diesem Moment so war. Beim Fotografieren reizen mich die kleinen Momente: Situationen, die für einen Augenblick zu fassen sind, und sich so wahrscheinlich nie wieder reproduzieren lassen würden. Wahrscheinlich meide ich es deshalb auch, Denkmäler und allzu offensichtliche Touristenmotive abzulichten.
Welches Equipment hast du, um so nah an die Menschen heran zu kommen?
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Kai: Ich arbeite ohne Zoom-Objektive. Am liebsten mit einer 50mm-Festbrennweite, weil man damit die realistischsten Aufnahmen machen kann. Dies bringt mich sich, dass ich auch mal nah ran gehen muss. Die Bands hatte ich bei den Gesprächen darum gebeten, mich einfach zu ignorieren. Was auch nach ein paar Minuten ganz gut funktioniert hat. Außerdem hatte ich das Glück, dass Leica unser Projekt unterstützt und mir für die Reise eine M9 geliehen hat. Die Kamera sieht sehr unscheinbar aus, was auch etwas hilft.
Meine Erfahrung ist, dass die Isländer sehr aufgeschlossen, kooperativ und begeisterungsfähig für kreative Projekte sind? Wie sind die Reaktionen auf euer Projekt?
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Marcel: Die Reaktionen aus Island sind super. Allerdings hatten wir eine paar Anlaufschwierigkeiten. Isländer zählen nicht zu den kommunikativsten Menschen der Welt. Die Standard-Antwort auf Interviewanfragen war: Ruf mich an, wenn du in Reykjavík bist! Das macht es schwieriger, im Voraus zu planen. Sobald wir aber die ersten Künstler getroffen hatten und diese wiederum ihren Freunden von uns erzählten, konnten wir uns vor Anfragen kaum retten. Gerade unsere Unabhängigkeit und die Tatsache, dass wir – im Gegensatz zu vielen Profi-Journalisten – länger als ein Wochenende in Island geblieben sind, hat uns viele Türen geöffnet.
Wie seid ihr bei der Recherche vorgegangen?
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Marcel: Die Grundidee war die Musiker in ihrer Umgebung zu treffen. Wir waren dieses Jahr den ganzen Juni in Island und haben rund 30 Interviews geführt – und noch mehr Musiker beim Bier trinken getroffen. Diese Interviews bilden den Kern unseres Projekts. Im Moment sichten und transkribieren wir. Einige Interviews hatten wir auch im Vorfeld gemacht, weitere folgen jetzt im Anschluss.
Wie oft und lange wart ihr für das Projekt bereits in Island – und wie oft werdet ihr noch hier her kommen?
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Marcel: Wir waren den gesamten Juni über auf Island –für mich war das der erste Aufenthalt hier überhaupt. Wir planen im Oktober zum Iceland Airwaves-Festival wieder da zu sein. Einmal Island reicht nämlich nicht.
Fast alles kostet Geld. Wie finanziert ihr „Sonic Iceland“?
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Marcel: Schwieriges Thema. Wir hatten gehofft, durch den Erfolg von Kais Blog unsere Kosten durch Sponsoren decken zu können – gerade weil wir so viele verschiedene Themen abdecken wie Reise, Musik, Fotografie. Leider sind uns zwei große Sponsoren kurz vor dem Starttermin abgesprungen. Und viele andere Firmen und Agenturen sind anscheinend der Meinung, Sachspenden würden sie dazu befähigen, frei über allen Content zu verfügen. Im Endeffekt waren es nur isländische Partner, die uns aktiv unterstützt haben, allen voran IMX und Iceland Express. Wir haben außerdem ein Spendenkonto eingerichtet. Für eine 20-Euro-Spende haben unseren Supporter eine signierte Postkarte bekommen – signiert von einem der Künstler oder von einem zufällig getroffenen Isländer. Die Aktion war ein großer Erfolg. Nichtsdestotrotz haben wir einen großen Teil der Finanzierung selber getragen.
Gab es auch Momente, in denen ihr an eurem Projekt gezweifelt habt?
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Marcel: Klar. Auf der einen Seite hatten wir den Arbeitsaufwand extrem unterschätzt. Wir sind ja nur zu zweit, und Geld verdient werden will nebenbei auch noch. Auf der anderen Seite hat die fehlende finanzielle Unterstützung beinahe dazu geführt, dass wir alles hingeschmissen hätten. Doch die Unterstützung der Leute, die an unser Projekt glauben, hat uns dann bewegt weiter zu machen. An dieser Stelle auch noch mal ein dickes Dankeschön an alle Spender.
Es soll ja nicht nur bei der Webseite bleiben, sondern auch ein Buch geben?
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Marcel: Absolut. Es geht uns darum, den Leuten auch etwas in die Hand drücken zu können, abseits der Online-Publikation. Welches Format und welchen genauen Inhalt es geben wird, können wir noch nicht sagen – das hängt auch vom Format der fertigen Webseite ab (siehe nächste Frage). Wir planen aber das Buch spätestens zur Frankfurter Buchmesse nächstes Jahr zu veröffentlichen – Island ist dort 2011 Ehrengast.
Im August wollt ihr zunächst eure fertige Webseite veröffentlichen – wie wird die aussehen bzw. was wird anders sein als auf der jetzigen Webpage?
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Marcel: Im Moment ist unsere Website nur ein Blog, d. h. wir haben hier nur unsere Vorbereitungen und den Verlauf unseres Trips festgehalten, ohne tiefergehende Informationen zu Land und Künstlern geschweige denn Interviews in deren Gesamtheit. Die fertige Website wird ein Hybrid aus Musikmagazin, Reisejournal und persönlichen Analysen – mehr will ich vorerst nicht verraten.
Über die Projektmacher:
Kai Müller und Marcel Krüger waren WG-Mitbewohner in Köln, haben beide Musik gemacht. Kai lebt weiterhin in Köln, macht Fotos und betreibt den deutschen Lifestyle-Blog Stylespion. Marcel ist vor drei Jahren nach Irland umgesiedelt und schreibt dort für Reise- und Stadtmagazine sowie Blogs.
English version
Sonic Iceland is an extraordinary project that combines two enthusiastic fanboys, one small island just south of the Arctic Circle and its fantastic music scene. There is a blog, and the launch of a finalised website as a hybrid of music magazine, travel journal and personal analysis in August. A book is also in planning. Marcel Krüger and Kai Müller talk about their experiences in preparing and researching in Iceland.
Give us some details: What was your most strange, funniest, most exciting encounter in Iceland?
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Marcel: I couldn’t say that there’s that one extraordinary encounter I had in Iceland. Iceland itself is pretty extraordinary and strange. On the one hand you have the capital Reykjavík with its unique nightlife and the overwhelming range of cultural activities, on the other you drive 100 kilometres and you will find yourself on a lava field in the middle of nowhere, not seeing a human being for hours and hours. Add 24 hours of sunshine in summer, and the strange language that seems vaguely familiar, and you have a pretty diverse place.
My most surreal encounter must have been a concert at a hotel Djúpvaík in a fjord at the end of the world, next to a disused fish-factory, listening to a set of Abba-covers among German tourists and a handful of locals.
Why is your project needed? What is your aim?
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Marcel: I don’t know if there’s a need for our project. There are better and more detailed documentaries about Icelandic music out there. Our approach has always been the “let’s do this!”-one, and we do not aim to become experts on Icelandic music. We are no professional journalists, this is our own project and we can do and write what we want. If people like it – brilliant. If not – this doesn’t bother me. Some people (especially from Germany) always asked for the „added value“ of what we do. We went to Iceland because we can – and because seeing the real thing is better than watching music videos at home. And everyone can participate online. The web has become our most important tool – we can research, contact artists, collect information and can document our preparations and our stay via our blog. All this without editorial and outside influences.
When and how was the idea born?
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Marcel: Kai and I have been fascinated by Icelandic music for a long time. It was always surprising how many different sounds and styles such a tiny nation produces, as opposed to the German scene, for example. And then you have the landscape, which always looked inspiring on pictures and the „Heima“-movie of Sigur Rós. But at some stage we asked ourselves if Icelandic musicians really look at nature for inspiration, and all run around in woollen sweaters, believing in elves. From there it was a tiny step to “let’s go and have a look for ourselves”. And we could share our trip with anyone that’s interested.
You are fascinated by the alternative Icelandic music scene. What is so special about this?
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Marcel: maybe the fact that there’s not the one distinctive Icelandic sound. Many people will associate Björk and Sigur Rós with Icelandic music, but there are so many extraordinary metal-, electro-, post rock- and folk-bands coming from a nation that small, that’s really unbelievable.
Do you have a favourite band or singer? Why do you like Icelandic music?
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Marcel: Tricky one. Just to name a few, I pick Icelands biggest metal band Solstafir and best singer/songwriter (and overall great guy) Svavar Knútur. For me as a musician, I was surprised of how open the musicians there are. Metal bands share the stage with DJ-sets, singer/songwriter play with a full orchestra, and there’s no real scene as in Germany or Ireland, where the metal-fans would leave the hall during the DJ-set. In Iceland, they all influence each other, and think outside the box.
Kais photos are really authentic and vibrant. What´s important for you for your shoot?
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Kai: I shoot very spontaneously, and don’t like posed scenes, especially because these scenes lack authenticity. Working this quick, most pictures I shoot have small flaws: sth. cut out, sth protrudes into the frame. But this doesn’t bother me, this is what makes out the scene I captured. Small moments are what especially appeals to me when photographing. Situations that you can capture only once, and which are almost impossible to reproduce. This is why I refrain from shooting monuments and likewise touristic motives.
Which equipment you are using?
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Kai: I work without zoom-objectives. I prefer shooting with a 50mm prime lens, because you can take the most realistic pictures that way. But I won’t go in detail – sometimes you just have to be close. I asked the bands to ignore me during the interviews, which worked pretty well after a while. I also was privileged as Leica was supporting our project and equipped me with a M9 for our trip. The camera really looks unimpressive, which helped a lot.
How are the reactions to your project?
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Marcel: We only received positive reactions – we had a slow start though. Icelanders are not the most communicative people in the world, and the standard response to interview-requests was “Give me a ring when you are in Reykjavik!” which makes forward planning not very easy, haha. But once we had conducted the first interviews, and the artists told their friends about us, we could hardly cope with all the people who wanted to meet us. The fact that we are independent and – as opposed to many full-time journalists – stayed longer than a weekend opened many doors for us.
How do you research?
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Marcel: The main idea was to meet the musicians in their natural habitat, and that during our main stay in Iceland in the whole of June this year. We conducted about 30 interviews – and met even more musicians while socialising and drinking beer. These interviews form the core of our project, and at the moment we are mainly reviewing and transcribing. We did some interviews in advance, and there will be some more to come.
How much time have you invested in Iceland, will you come back?
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Marcel: We spent the whole of June in Iceland. And this was my first stay in general. We plan to be back in October for the Iceland Airwaves-festival. Because once is not enough.
How do you finance this project?
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Marcel: Delicate topic. We had high hopes – inspired by the success of Kai’s blog – that we’d be able to cover all costs via sponsoring, especially as we are covering so many interesting topics like travel, music and photography. Unfortunately we lost 2 of our main sponsors in the last minute, and other businesses and agencies seem to think that they could use all our content in exchange for some of their products. In the end it were only the Icelandic partners that really helped us out, above all the good guys at the Iceland Music Export and Iceland Express. We also created a donations account, and offered signed postcards for a 20-Euro-donation, postcards signed either by the artists or a random Icelander we met on the streets. That helped a lot! We did however finance the most on our own.
Were there times when you questioned the project?
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Marcel: Definitively. We underestimated the workload big time – we are only 2 guys at the end, and need to make a living besides this project somehow. The lacking financial support was another huge blow, and only the support of all our friends worldwide kept us going – again, a big big thank you to all our donors out there.
You are also planning a book?
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Marcel: Indeed. We want to offer something physical besides our online publications. What format and content this book will have, we can’t say at the moment. This depends mainly on how the finalised website will look like (see next question). We do however aim to have it published for next year’s book fair in Frankfurt, where Iceland is guest of honour in 2011.
In August you will start the finalized website – what´s different now and will be new then?
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Marcel: At the moment our website is only a blog, where we documented our preparations and the course of our trip to Iceland, but neither detailed information on country and music nor any full interview has been published yet. The finalised website will be a hybrid of music magazine, travel journal and personal analysis, but that’s all I’m saying for the moment.
About the initiators:
Kai Müller and Marcel Krüger go way back as housemates in Cologne, and we both are (or have been) musicians. Kai still lives in Cologne, shoots crazy pictures and runs of the lifestyle-blog Stylespion. Marcel has relocated to Dublin in Ireland 3 years ago, and write for a couple of travel- and city-magazines and blogs.
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